Donnerstag, 26. Juli 2012

...vorübergehend politisch...



(Für alle normalen Blog-Besucher: Keine Sorge, zwischendurch arbeite ich auch weiter im Park und bald gibt´s neue Fachbeiträge...Aber ihr wißt ja, daß Gärtner manchmal philosophische Anfälle bekommen ;-))
Neue Rosenpark-Fotos gibt es hier:


 ...aus aktuellem Anlass (Menschenrechts-Standard in Gefahr):

Gratwanderung

„Ihresgleichen“ – Dieses Kommentar-Wort im Zusammenhang mit einem konkreten, jüdischen Menschen hab ich gestern gelesen und kann die Antisemitismus-Ängste jetzt nachvollziehen: Es ist ein übergroßes Ausrufezeichen mit dunkel-braunem Hintergrund.
Auch die Ängste muslimischer Eltern hinsichtlich Gesetzgebung und Motivation eines Landes, das Rassisten jahrzehntelang unbehelligt „Döner-Morde“ begehen ließ, sind nachvollziehbar.
Auf der anderen Seite steht das konkrete Leiden der Kinder und die Sorge vieler, daß in unserer Gesellschaft und Gesetzgebung zukünftig noch mehr Leid und Ungerechtigkeiten zugelassen werden müssen, wenn Irrationalität die Regeln des Zusammenlebens bestimmt.

Ängste und Unsicherheit machen aggressiv und die Taktik von Regierung und Befürwortern der Zirkumzision, die Diskussion a) möglichst zu verhindern, b) Schmerz, Entwürdigung und mögliche Folgen zu bagatellisieren und c) unangemessen zu relativieren war kontraproduktiv: Zensur und Desinformation sind keine Mittel zur Beruhigung einer Bevölkerung, die schon lange gemerkt hat, daß ihr Parlament nicht ihre Interessen vertritt.

Diese Diskussion ist nötig und wichtig. Ihre Gefahren können aber auch eine Chance sein:
Vielleicht dazu, aus vielen kleinen, abgeschlossenen Parallel-Gesellschaften einen Schritt hin zu gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und Gemeinschaft zu gehen. Damit sich daraus der weitere Weg zu einem echten Europa und zu einer globalen Kooperation der MENSCHEN ergeben kann. Denn auch das ist durch diese Diskussion klar geworden: Ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein ist noch lange nicht vorhanden. Stattdessen sind die Abkapselungen der gesellschaftlichen Teilmengen gewachsen wie Abszesse, die vor sich hin schwären… Auch Toleranz kann rassistisch sein, wenn sie sich im Nicht-Hingucken und Tabuisieren äußert: Wer sich nicht für Betroffene „innerkultureller“ Konflikte (wie z. B. Zwangsehen oder Drangsalierung von Homosexuellen) einsetzen möchte, verweigert diesen Mit-Bürgern dadurch den Status als gleichwertige, gleich wichtige Individuen und qualifiziert ihre Probleme als quasi-folkloristisch ab. Und wer – wie z. B. ich bis zu dieser Diskussion – alles, was mit Judentum und Israel zu tun hat, lieber nicht so genau wissen will, wenn es zu Kritik führen könnte, zementiert damit einen permanenten Opfer-und-potentielle-Täter-Status, der natürliche Achtung, Nähe und wirkliche Freundschaft auch noch für die nächsten zig Generationen verhindert, was auch eine spezielle Art von verkrampftem, „solidarischem“ Vorurteil sein kann: Echte Freunde weisen sich nämlich gegenseitig auch schon mal auf Unangenehmes hin, unechte wahren lieber taktvolle Distanz. Vielen Muslimen, Juden und Deutschen ist Distanz vielleicht lieber als Annäherung, die auch unbequeme Auseinandersetzungen beinhalten kann (oder sogar muß). Aber mit immer höheren Wagenburgen, hinter denen sich nicht kommunizierende „Stämme“ verschanzen kommen wir keinen Schritt weiter, weder hinsichtlich dieser Gesellschaft, noch in Richtung Europa oder Weltbürgertum.

Das Aufplatzen einer schwärenden Eiterbeule tut weh und fördert ans Tageslicht, was man lieber nicht sehen möchte. Aber nur so kann Reinigung und Heilung passieren. Zu dem, was wir lieber nicht sehen würden, gehört auch der winzige, antisemitistische und „Fremden“-feindliche Stachel, den die Gesellschaft immer noch im Fleisch stecken hat. Auch solche Entzündungen erledigen sich nicht durch Ausblenden von Frustrationen und Ängsten, die sich um den Nucleus bilden. Kommunikation, Information und Transparenz sind die bessere Therapie. Und wenn sich die Rechten jetzt plötzlich gleiche Menschenrechte für alle auf die Fahnen schreiben, können wir sie ja einfach beim Wort nehmen und darauf festnageln. DAS zumindest ist doch eigentlich nicht verkehrt.
Sowieso bieten die seltsamen Konstellationen von „Bündnis-Partnern", die wir aktuell vorfinden, eine optimale Voraussetzung für WIRKLICHE politische Veränderung die ein „Durcheinanderwirbeln“ braucht, um stattfinden zu können: Ein großer Teil der sich links verortet Empfindenden, Feministinnen und üblichen Menschenrechtsvertreter findet sich im selben Boot mit den etablierten Parteien und konservativ patriarchalischen Religionsvertretern, während sich ein bunter Haufen anderer Menschenrechtler, Kirchenmitglieder, Religionskritiker und Grundgesetzverteidiger – inklusive einiger echter oder potentieller Rassisten- im anderen befindet. Diese merkwürdige und teilweise tragikomische Situation reißt überraschende Lücken in vorher stabile Wagenburgen wie Denkmuster und bringt sowohl Durchzug als auch Einblicke: Jeder, der die Diskussion verfolgt, liest zur Zeit wahrscheinlich mehr als sonst in einem Jahr, lernt mehr über Bibel, Thora und Koran, männliche Anatomie und Schmerzforschung, Geschichte und Philosophie, Ängste, Traditionen und Ressentiments verschiedener Bevölkerungsgruppen als er sonst vielleicht jemals erfahren hätte. – Und das ist gut so!

Jeder, der sich an seine Kindheit erinnert, weiß, daß Lernen weh tut und wir Bürger lernen grade gemeinsam sehr schnell sehr viel...Es wäre schön, wenn als Ergebnis des anstrengenden Lernprozesses ein gemeinsamer Grund-Konsens darüber entstünde, wie wir zukünftig zusammen leben wollen. Ohne allseits akzeptierte „Hausordnung“ wird es nicht gehen und deren Zustandekommen erfordert Diskussion, Offenheit, Information und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, um gemeinsam weiter zu kommen.
Ich persönlich finde die Vorstellung, jüdische und muslimische Kinder nach dem Urlaub zu kontrollieren oder jüdische Häuser oder Synagogen zu durchsuchen grauenvoll und fände eine erneute Auswanderungswelle sehr traurig…Solche Situationen müssen wir uns allen ersparen. Andererseits ist es auch unannehmbar, Kindern und Jugendlichen Menschenrechte vorzuenthalten oder (wieder) „Sonder-Gesetze“ zu etablieren…Einen konkreten Ausweg aus diesem Dilemma müssen Kompetentere finden als naive Gutmenschen wie z. B. ich. Die panische Bundestags-Resolution war kein Ausweg sondern eine Sackgasse.

Wir befinden uns m. E. grade mitten in einer historischen Ausnahme-Situation, die Zäsur und Gratwanderung in einem ist, Risiken enthält und: Große Chancen und Möglichkeiten, uns GEMEINSAM weiter zu entwickeln.


BTW: Vielleicht eine kleine Erklärung, was Gärtner manchmal dazu bringt, sich Gedanken über gesellschaftliche Entwicklungen zu machen:


- l´âge bleu, oder „das blaue Zeitalter“, ist ein Name, der einer persönlichen Philosophie entspricht:
Von allen Bedeutungen der königlichen Farbe BLAU sind Klarheit (des Denkens) und Tiefe (des Empfindens) die mir wichtigsten. Auch die Assoziation mit Spiritualität ist bei der Bezeichnung l´âge bleu durchaus erwünscht.
Das blaue Zeitalter, für dessen Verwirklichung der Rosenpark-Name steht, wird also ein Zeitalter sein, in dem die Menschen mit Hilfe von Klarheit des Denkens und Tiefe des Empfindens die Erde zu einem Ort der Harmonie und Gerechtigkeit für alle Lebewesen machen.
- Diese Zielvorgabe ist natürlich genauso größenwahnsinnig wie die Idee, ein 8000 m2-Gelände ganz alleine zu bewirtschaften, aber nur wer sich Großes vornimmt wird auch dazu beitragen können, Großes zu erreichen…

(wer mehr wissen möchte kann in "zur Person" unter "Beitragende" nachlesen)